Historische Meilensteine in der Geschichte der Neuropsychologie und der Neurowissenschaften

Altertum, Mittelalter, frühe Neuzeit

  • Ca. 1400 – 1200 v. Chr.
    Homer über „Encephalon” (Inhalt des Schädels) und „Psyche” (Verstand) als unabhängige Begriffe
  • 2. – 1. Jhd. v. Chr.
    Soranos aus Ephesus schreibt in „De paralysi” über die neurologische Rehabilitation
  • Ca. 1000
    Albucassis aus Cordoba veröffentlicht ein 30-bändiges medizinisches Handbuch, u. a. zur Schädel-Trepanation
  • 1517
    Hans von Gersdorff (kaiserlicher Feldarzt) publiziert das „Feldbuch der Wundarzney”, u. a. zur Prothetik und Rehabilitation
  • 1747
    Albrecht von Haller skizziert in „Primae lineae physiologiae” die Erregbarkeit von Muskeln und Nerven
  • 1756
    Johann Gottlob Krüger über den „Versuch einer Experimental-Seelenlehre”
  • Um 1800
    Franz-Josef Gall veröffentlicht das weit beachtete Buch „Schedellehre” zur Phrenologie bzw. die Verbindung von Gehirnmorphologie und Verhalten

1800 – 1900

  • 1823
    Marie-Jean-Pierre Flourens schreibt dem Cerebellum die Fähigkeit zur Regulation motorischer Aktivitäten zu
  • 1824
    John C. Caldwell publiziert „Elements of Phrenology”
  • 1824
    Marie-Jean-Pierre Flourens „details ablation to study behavior”
  • 1825
    John P. Harrison argumentiert gegen die aufkommende Phrenologie
  • 1825
    Jean-Baptiste Bouillaud präsentiert Patienten mit Sprachdefiziten nach frontalen Läsionen
  • 1825
    Luigi Rolando beschreibt den Sulcus, der den prä- und postzentralen Gyrus trennt
  • 1839
    Theodor Schwann propagiert die Zelltheorie
  • 1848
    Phineas Gage verunglückt bei Sprengarbeiten (ausführliche Falldokumentation bei einem Patienten mit frontaler Läsion)
  • 1849
    Hermann von Helmholtz misst die Geschwindigkeit des Nervenimpulses beim Frosch
  • 1853
    William Benjamin Carpenter propagiert das „sensory ganglion” (thalamus) als den Sitz des Bewusstseins
  • 1854
    Louis P. Gratiolet beschreibt die Windungen des cerebralen Cortex
  • 1855
    Bartolomeo Panizza weist nach, dass der okzipitale Cortex essentiell für das Sehen ist
  • 1860
    Gustav Theodor Fechner postuliert das „Fechnersche Gesetz” und publiziert „Elemente der Psychophysik”
  • 1861
    Paul Broca diskutiert die cortikale Lokalisation von kognitiven Funktionen, „motorische Aphasie”
  • 1862
    Wilhelm Wundt publiziert „Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung” und „Messung der Geschwindigkeit der Gedanken”, Vorlesungen zur „Psychologie vom naturwissenschaftlichen Standpunkt”
  • 1863
    Wilhelm Wundts Lehrbuch „Vorlesungen über die Menschen- und Thierseele”
  • 1864
    John Hughlings Jackson schreibt über den Verlust der Sprache nach einer Hirnschädigung
  • 1865
    Otto Friedrich Karl Deiters differenziert Dendriten und Axone
  • 1867
    Theodor Meynert führt histologische Analysen des cerebralen Cortex durch
  • 1868
    J. Bernstein misst den Zeitverlauf von Aktionspotentialen
  • 1869
    Francis Galton behauptet, dass Intelligenz erblich ist (Publikation von „Hereditary Genius”)
  • 1870
    Eduard Hitzig and Gustav Fritsch entdecken den motorischen Cortex beim Hund durch elektrische Stimulation
  • 1872
    George Huntington beschreibt die Symptome einer erblichen Chorea
  • 1873
    Camillo Golgi publiziert erste Arbeiten über Färbetechniken („silver nitrate method”)
  • 1874
    John Hughlings Jackson forscht zu „Dominanten Hemisphären”
  • 1874
    Carl Wernicke forscht zur „sensorischen Aphasie” und Störungen des Sprachverständnisses („Der Aphasische Symptomencomplex”)
  • 1874
    Wilhelm Wundt veröffentlicht „Grundzüge der physiologischen Psychologie”
  • 1875
    William James hält in den USA Vorlesungen zur experimentellen Psychologie („The Stream of Thought”, „The Consciousness of Self” und „The Perception of Reality”)
  • 1876
    David Ferrier publiziert „The Functions of the Brain”
  • 1876
    Francis Galton verwendet die Begriffe „nature” und „nurture”, um die Einflüsse der Genetik und Umwelt zu beschreiben
  • 1877
    Jean-Martin Charcot publiziert „Lectures on the Diseases of the Nervous System”
  • 1878
    Paul Broca publiziert seine Arbeiten über „great limbic lobe”
  • 1879
    Wilhelm Wundt eröffnet das weltweit erste „Institut für Experimentelle Psychologie” in Leipzig
  • 1881
    Hermann Munk berichtet über visuelle Störungen nach Abtragungen („Ablation”) im okzipitalen Cortex von Hunden
  • 1883
    Emil Kraepelin prägt die Begriffe „Neurose” und „Psychose”
  • 1884
    Georges Gilles de la Tourette beschreibt verschiedene Bewegungsstörungen
  • 1886
    Hermann Ebbinghaus habilitiert „Über das Gedächtnis”
  • 1886
    David Ferrier unternimmt Stimulations- und Ablationsexperimente
  • 1887
    Sergei Korsakoff beschreibt charakteristische Symptome bei Alkoholikern
  • 1888
    John Hughlings Jackson: Überlegungen zum Remissionsprozess
  • 1890
    William James publiziert „Principles of Psychology”
  • 1890
    James McKeen Cattell entwickelt die weltweit erste Testbatterie („mental tests”)
  • 1891
    Wilhelm von Waldeyer prägt den Begriff „Neuron”
  • 1895
    William His benützt als erster den Begriff „hypothalamus”
  • 1896
    Emil Kraeplein beschreibt die „Dementia Praecox”
  • 1896
    Joseph Babinski beschreibt pathologische Reflexe („Babinski-Zeichen”)
  • 1896
    Hermann Ebbinghaus entwickelt einen Satzergänzungstest für Kinder, den ersten Test auf verbale Intelligenz und Ermüdungseffekte
  • 1897
    Ivan Petrovich Pavlov publiziert Arbeiten über die Physiologie der Verdauung
  • 1897
    Charles Scott Sherrington prägt den Begriff „Synapse”
  • 1898
    Edward L. Thorndike beschreibt die „puzzle box”
  • 1898
    Gabriel Anton „Über die Herderkrankungen, die der Patient selbst nicht wahrnimmt” (Anton-Syndrom, Anton-Babinski-Syndrom)
  • 1899
    August Bier verwendet Kokain für intraspinale Anästhesie

1900 – 1950

  • 1900
    Sigmund Freud publiziert sein Buch über „Die Interpretation von Träumen”
  • 1902
    Emil Kraepelin entwickelt die „Arbeitskurve für psychisch Kranke” (später „Pauli-Test”)
  • 1903
    Ivan Pavlov prägt den Begriff „konditionierter Reflex”
  • 1903
    William Stern prägt den Begriff „Psychotechnik”
  • 1905
    Alfred Binet and Theodore Simon entwickelten den ersten Intelligenztest
  • 1906
    Alois Alzheimer beschreibt eine präsenile Degeneration (heute: Morbus Alzheimer)
  • 1906
    Golgi und Cajal erhalten den Nobelpreis für ihre Arbeiten über die Struktur des Nervensystems
  • 1907
    John N. Langley führt das Konzept der Rezeptormoleküle ein
  • 1908
    V. Horsley and R.H. Clarke entwickeln stereotaktische Instrumente
  • 1909
    Harvey Cushing stimuliert als erster den menschlichen sensorischen Cortex
  • 1909
    Korbinian Brodmann beschreibt 52 histologisch unterschiedliche Areale auf dem Cortex
  • 1910
    Emil Kraepelin benennt die Alzheimersche Krankheit
  • 1911
    Eugen Bleuler prägten den Begriff „Schizophrenie”
  • 1914
    Henry H. Dale isoliert den Neurotransmitter „Acetylcholin”
  • 1914
    Joseph Babinski prägt den Begriff „Anosognosie”
  • 1914
    Kurt Goldstein und der Gestaltpsychologe Adhemar Gelb gründen in Frankfurt am Main das „Institut für die Erforschung der Folgeerscheinungen von Hirnverletzungen”
  • 1915
    Walter Poppelreuter veröffentlicht „Erfahrungen und Anregungen zu einer Kopfschuß-Invalidenfürsorge”
  • 1920
    Henry Head publiziert „Studies in Neurology”
  • 1924
    Shepard Ivory Franz forscht zu „Studies in re-education”, „Anti-localization of brain function” und „Higher order functions: learning und memory”
  • 1928
    Walter R. Hess berichtet über „affective responses” bei hypothalamischen Stimulationen
  • 1929
    Hans Berger gelingt die Ableitung eines EEGs
  • 1929
    Karl Lashley definiert „equipotentiality” und „mass action” in „Brain mechanism and Intelligence”
  • 1930
    Karl Lashley „Basic neural mechanisms in behavior”
  • 1934
    Kurt Goldstein, ein humanistischer Neuropsychologe, der zusammen mit dem Gestaltpsychologen Adhemar Gelb das „Institut für die Erforschung der Folgeerscheinungen von Hirnverletzungen” (1914-1930) in Frankfurt am Main leitete, veröffentlicht im Exil sein Hauptwerk „Der Aufbau des Organismus”.
  • 1935
    Ausbau der Sonderlazarette für Schädel-Hirn-Verletzte im Deutschen Reich und Integration in den „Verband der nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung”
  • 1936
    Egas Moniz publiziert seine Arbeit über die erste frontale Lobotomie
  • 1936
    Henry Hallett Dale and Otto Loewi erhalten den Nobelpreis für ihre Arbeit über die chemische Übertragung zwischen den Nervenzellen
  • 1936
    Walter Freeman führt erste Lobotomien in den USA durch
  • 1937
    James Papez publiziert seine Arbeit über das Limbische System
  • 1937
    Heinrich Kluver and Paul Bucy publizieren ihre Arbeit über bilaterale Temporallappenlobektomien
  • 1937
    James W. Papez entwickelt seine „visceral theory” der Emotionen
  • 1938
    B. F. Skinner publiziert „The Behavior of Organisms”, in dem operante Konditionierung beschrieben wird
  • 1939
    Nathaniel Kleitman publizieren „Sleep and Wakefulness” (REM und Non-REM Schlaf)
  • 1945
    Auflösung aller Wehrmachtslazarette durch die Alliierten und Überstellung der Gehirnverletzten in Nervenkliniken
  • 1949
    A.C.A.F. Egas Moniz erhält den Nobelpreis für seine Arbeiten über die Leukotomie zur Behandlung von bestimmten Psychosen
  • 1949
    Donald O. Hebb publiziert „The Organization of Behavior: A Neuropsychological Theory” und führt damit den Begriff „Neuropsychologie" ein

1950 – 2015

  • 1950
    Karl Lashley publiziert „In Search of the Engram”
  • 1950
    Henry Hecaen: Gründung des „Internationalen Neuropsychologischen Symposiums”
  • 1950
    Aufbau der „Kliniken Schmieder” in Gailingen am Bodensee
  • 1957
    W. Penfield und T. Rasmussen bestimmen den motorischen und sensorischen Homunkulus
  • 1963
    John Carew Eccles, Alan Lloyd Hodgkin und Andrew Fielding Huxley teilen sich den Nobelpreis für ihre Arbeiten über die Nervenzellmembran
  • 1963
    Zeitschrift „Neuropsychologia” (Henry Hecaen)
  • 1963
    Alexander Lurija über „Restoration of function after brain injury”
  • 1964
    Zeitschrift „Cortex” (De Renzi & Vognolo)
  • 1965
    Ronald Melzack and Patrick D. Wall postulieren die „gate control theory” des Schmerz
  • 1966
    Alexander Lurija organisiert den „Internationalen Kongreß für Psychologie” in Moskau
  • 1967
    Gründung der „International Neuropsychological Society” (INS)
  • 1969
    Die „Society for Neuroscience” wird gegründet
  • 1970
    Julius Axelrod, Bernard Katz und Ulf Svante von Euler teilen sich den Nobel Preis für ihre Arbeiten über die Funktion von Neurotransmittern
  • 1972
    Godfrey N. Hounsfield entwickelt die Computertomographie
  • 1974
    M.E. Phelps, E.J. Hoffman and M.M. Ter Pogossian entwickeln den ersten PET Scanner
  • 1974
    Halstead-Reitan Neuropsychological Battery
  • 1975
    National Academy of Neuropsychology (NAN)
  • 1976
    Muriel Lezak publiziert „Neuropsychological Assessment”
  • 1979
    APA Division 40 (Clinical Neuropsychology)
  • 1979
    Zeitschrift „Journal of Clinical Neuropsychology”
  • 1981
    David Hunter Hubel und Torsten N. Wiesel erhalten den Nobel Preis für ihre Arbeit über das visuelle System
  • 1981
    Roger Wolcott Sperry erhält den Nobelpreis für seine Arbeiten über die Funktion der beiden Hirnhemisphären
  • 1981
    American Board of Clinical Neuropsychologists (ABCN)
  • 1986
    Gesellschaft für Neuropsychologie (GNP)
  • 1986
    Zeitschrift „Archives of Clinical Neuropsychology”
  • 1987
    Oliver Zangwill publiziert „The Oxford Companion to the Mind”
  • 1987
    Zeitschrift „Neuropsychology”
  • 1989
    British Neuropsychological Society (BNS)
  • 1990
    U.S.-Präsident George Bush erklärt die Dekade 1990 – 2000 zur „Decade of the Brain”
  • 1990
    Zeitschrift „Neuropsychology Review”
  • 1990
    „Zeitschrift für Neuropsychologie”
  • 1991
    Schweizerische Vereinigung der Neuropsychologinnen und Neuropsychologen (SVNP)
  • 1993
    Das Gen, das für die Huntington Krankheit verantwortlich ist, wird identifiziert
  • 1993
    Weiterbildung „Klinische Neuropsychologie”
  • 1994
    Zeitschrift „Applied Neuropsychology”
  • 1995
    Gründung des US-Dachverbandes „Clinical Neuropsychology Synarchy” (CNS)
  • 1995
    Zeitschrift „Child Neuropsychology”
  • 1996
    American Academy of Clinical Neuropsychology (AACN)
  • 1999
    Gesellschaft für Neuropsychologie Österreich (GNPÖ)
  • 1999
    George Prigatano publiziert „Principles of Neuropsychological Rehabilitation”
  • 2000
    Arvid Carlsson, Paul Greengard und Eric Kandel teilen sich den Nobelpreis für ihre Arbeiten über die Signaltransduktion im Nervensystem
  • 2008
    Federation of the European Societies of Neuropsychology (FENS)
  • 2009
    International Academy of Applied Neuropsychology (IAAN)
  • 2011
    Yehuda Ben-Yishay und Leonard Diller veröffentlichen das „Handbook of Holistic Neuropsychological Rehabilitation”

Gerhard Müller, Würzburg. Gekürzte und leicht ergänzte Version der „Milestones in Neuroscience Research” von Eric H. Chudler